Steingaden, Wieskirche, Musik im Pfaffenwinkel, So 05.07.2015 19:00h
Geballter Zorn und schwebende Ahnung erfüllen die Wies
Selbst in der sonst so kühlen Wieskirche steht die warme Luft. Konzertbesucher erfrischen sich noch draußen beim Schweiger-Wirt, Hühner picken zwischen luftig flatternder Konzertgarderobe. Auch eine halbe Stunde vor Konzertbeginn wird noch geprobt, schallt bereits der Zorn Gottes aus den Kirchenmauern. Drei Stunden schweißtreibender Probenarbeit hat man bereits in den Mittagsstunden in der Herzogsägmühle absolviert. Seit 17:30 sind die Mitwirkenden Künstler der Musik im Pfaffenwinkel nun bereits wieder in der Vorbereitung des Verdi-Requiem, das um 19h erklingen wird.
Man kann dem gemischten Chor im Pfaffenwinkel, den Mitgliedern und jungen Nachwuchsaushilfen des Bayerischen Staatsorchesters, dem Solistenquartett und Dirigent Christian Fröhlich nur höchsten Respekt zollen, dass nach einer solch strapaziösen Arbeit unter extremen Hochsommer-Konditionen noch so fulminante Leistungen im Konzert überhaupt möglich werden konnten.
Wiesprälat Gottfried Fellner gelang es in seiner Begrüßung bereits, in Worte zu fassen, was die ausverkaufte Wies am Abend tief bewegen sollte. „Die Musik hilft dem Menschen zu erahnen, was ihn am Ende einmal erwarteten könne.“ Gerade Verdis emotional so dramatisch aufgeladenes, in seiner Umsetzung von hohem Anspruch gekennzeichnete Monumentalwerk gehört zu den vokalen Meisterkompositionen, die dem Zuhörer direkt unter die Haut fahren.
Beinahe ewigkeitsbreit legt Fröhlich sein Tempo im Eingangs-Requiem aeternam an. Der in beträchtlicher Zahl erweiterte Chor folgt ihm vor allem in den dynamischen Differenzierungen geschmeidig und voll. Scharf schneiden die Trompeten von der Empore, das tiefe Orchesterblech grollt – gut balanciert – gewaltig ins Dies Irae heran, das Fröhlich aus Chor und Orchester geradezu heraus peitscht. Geht es um den Zorn Gottes, dirigiert er mit geballten Fäusten.
Es sollen vor allem die vier großen, gut aufeinander timbrierten Opernstimmen der Solisten werden, die dieses Verdi-Requiem an diesem Abend himmelwärts emporheben. Bass Thomas Ruf wagt nur ein ahnungsvolles Flüstern im „Mors stupebit“, er durchlebt diesen Abend ganz im Text, enorm ausdrucksvoll in der Deklamation. Mezzo Julia Rutigliano, nicht immer vollkommen zuverlässig in der Intonation, hat eine riesige, raumgreifende Stimme, bruchlos ausgewogen, satt in der Tiefe. Ob in Soloarien oder Duetten entwickeln sich vor allem die beiden Frauenstimmen von Sopranistin Bettine Kampp und Julia Rutigliano zu den Lichtgestalten der Aufführung. Sie mischen sich fein, in weich fließender Wärme im Quid sum miser, durchschweben mit berührender Innerlichkeit das Agnus Dei.
Der chinesische Tenor Dawei Su scheint über Stahlstimmbänder zu verfügen, die jedem Fortissimoausbruch standhalten. Reduziert er seine Strahlkraft, dann kommt eine feine Schwingung zum Vorschein, die man gerne öfter genießen würde. Zum Erlebnis wird die Interpretation dieser für den Sopran so herausfordernden Partie bei Bettine Kampp. Unendlich weit sind ihre Atembögen, stil- und geschmackvoll phrasiert sie nicht nur, sondern gibt dem Wort Gestalt, durchlebt die spirituelle Kraft des Werkes so authentisch, dass die Wies atem- und regungslos lauscht. Es ist nicht nur ihre hochdramatische Kraft, es ist vor allem das leuchtende, makellose zwei, drei und vierfache Piano in höchsten Höhen emporschwebend, mit dem Kampp diesem Requiem Glanz verleiht. Mit suggestiver Kraft und zornig dunkler Tiefe dagegen läuft ihr Tremens factus dem Zuschauer den Rücken hinab, mühelos zart am Ende das letzte „Requiem“.
Gelingt es dem Solistenquartett und Dirigent Fröhlich, dem Geheimnis dieser Musik auf der Spur zu folgen, bleibt die orchestrale Geschlossenheit und Spannung bisweilen hinten nach. Das doppelchörige Sanctus gerät ins Schwimmen, nicht immer kann der enthusiastisch und mit enormer Leidenschaft wuchtig agierende Chor die Konzentration halten, filigrane Stimmungen übernehmen. Im Gesamterleben dieses Abends jedoch macht das auch keine Abstriche. Fröhlich liefert sich Verdis Musik vollkommen schonungslos aus. Jubel und Standing Ovations am Ende, nachdem man auf das angekündigte Glockenläuten leider vergeblich in Stille gewartet hatte.
Auch Schirmherr Bundespräsident a.D. Prof. Dr. Roman Herzog in Begleitung